A Different Man (2024) | Film, Trailer, Kritik (2024)

Eine Filmkritik von Mathis Raabe

Selbstliebe nach Lady Gaga

Regisseur Aaron Schimberg reflektiert mit „A Different Man“ sein eigenes Schaffen: Er hat Adam Pearson, einen Schauspieler mit Neurofibromatose, einer Erkrankung des Nervengewebes, durch die sein Gesicht voller Geschwülste ist, bereits in seinem vorherigen Film „Chained for Life“ besetzt. Manche Kritiken warfen ihm danach vor, das sei ausbeuterisch. Das habe ihm das Gefühl gegeben, man könne es nicht richtig machen, sagte Schimberg nun bei einem Pressegespräch auf der Berlinale. Stattdessen einen unversehrten Schauspieler durch Makeup zu entstellen, sei schließlich nicht im Sinne der Repräsentation verschiedenartiger Menschen im Kino. Und die Lebenswelten äußerlich andersartiger Menschen gar nicht in Filmhandlungen zu besprechen, könne ja sicherlich auch nicht richtig sein.

Deshalb gibt es in A Different Man einfach alles: Eine blessierte Figur, die sozial verunsichert auftritt, und eine selbstbewusste, Adam Pearson und einen maskenbildnerisch transformiertenSebastian Stansowie Sebastian Stan mit einer Adam-Pearson-Maske auf einer Theaterbühne. Auf der Plot-Ebene geraten die Figuren miteinander in Konflikte, und auf der Meta-Ebene zugleich die Konzepte, für die sie stehen.

Edward ist Schauspieler, wird aber ausschließlich in stereotypen Rollen besetzt – einem Werbefilm gegen Mobbing zum Beispiel. Er suche Menschen mit „einzigartiger Physiognomie“, sagt ein Castingagent, was wie ein merkwürdiger Euphemismus klingt, eine Fetischisierung von Andersartigkeit. Das soziale Umfeld in dem Mehrparteienhaus, das Edward bewohnt, predigt derweil platte Selbstliebefloskeln: Um glücklich zu sein, müsse man sich nur nehmen, wie man ist. Lady Gaga habe das gesagt. Die Schauspielkarriere scheint trotz der „einzigartigen Physiognomie“ nicht zu laufen: In der Wohnung tropft es von der Decke.

Edwards ursprüngliches Leben ist inszeniert wie eine schwarzhumorige Sitcom, inklusive Fahrstuhlmusik, Wohnungseinrichtung wie aus dem Katalog und einer attraktiven norwegischen neuen Nachbarin namens Ingrid (Renate Reinsve). Sie träumt von einer Karriere als Dramatikerin und würde Edward gerne eine Rolle auf den Leib schreiben. Sie ist von Edwards Äußerem nicht abgeschreckt, sieht ihn sogar genau an und bemerkt an Stelle der Geschwülste einen einzelnen Mitesser auf seiner Nase. Schimberg beweist hier großes Talent für Comedy-Dialoge. Eine Szene mit Edward und Ingrid in einer Pizzeria sticht besonders hervor.

Trotz der Annäherung mit Ingrid und der Chance auf eine Theaterrolle entscheidet sich Edward für einen experimentellen, neuartigen medizinischen Eingriff, der ihm ein gänzlich neues Gesicht verschafft. Die Transformation ist Body-Horror-artig inszeniert. Während Edward sich ganze Fleisch- und Hautschichten vom Gesicht zieht, entstehen Fratzen, die durch einen Spiegel noch zusätzlich verzerrt werden und mitunter an Namensvetter Munchs Der Schrei erinnern. Nur funktionieren Transformationen im Horrorfilm (ikonisch etwa die Szene aus An American Werewolf in London) in der Regel nicht normierend, sondern in umgekehrter Richtung.

Der Humor kehrt zurück, als Edward anschließend beginnt, am gesellschaftlichen Leben normschöner Männer teilzunehmen. Was zunächst bedeutet: Schnaps trinken, herumgrölen wegen irgendeines Sportereignisses und auf der Kneipentoilette einen Blowjob bekommen. Trotz all dieser tollen neuen Hobbys kann er aber von Ingrid und ihrem Theaterprojekt nicht loslassen. Und dann taucht auch noch eine quietschfidele, selbstbewusstere Version seines alten Selbst auf.

A Different Man exerziert nicht nur auf brillante Weise die ethischen Fragen von Casting-Entscheidungen durch. Der Film verhandelt auch, wie die Geschichten von Minoritäten auf einer Drehbuchebene zu behandeln sind. In Ingrids Theaterinszenierung sehen wir Szenen, die wir zuvor schon zwischen Edward und ihr selbst gesehen haben, zugespitzt und expliziert. Alles, was zuvor zwischen den Zeilen war, wird ausgesprochen. Das Stück durchläuft dann diverse Änderungen, die von den Figuren diskutiert werden.

Und dennoch ist A Different Man alles andere als ein trockener Diskursfilm, was Schimbergs Fähigkeiten als Comedy-Autor zu verdanken ist. Mitunter verlässt er sich zu sehr darauf. Manche unangenehme, schmerzhafte Szene wäre noch interessanter, würde sie ein bisschen länger dauern, bevor der Schnitt kommt. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, und Adam Pearson zu sehen übrigens immer eine große Freude. Pearson hatte seinen Durchbruch in der Rolle des „deformierten Mannes“ in Under the Skin. Schimberg ist bisher der einzige Regisseur, der ihn in Hauptrollen besetzt. Er hätte noch mehr verdient – solche, die sein Äußeres thematisieren, aber auch solche, die andere Themen setzen und diverses Casting dadurch normalisieren.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version der Kritik stand, Adam Pearson würde eine Doppelrolle spielen. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung.

Der ehrgeizige New Yorker Schauspieler Edward unterzieht sich einem radikalen chirurgischen Eingriff, um sein Aussehen drastisch zu verändern. In der Folge ändert sich einiges in seinem Leben, und doch bleibt auf beunruhigende Weise alles gleich. Auch wenn er äußerlich ein anderer geworden sein mag und ein neues Leben beginnen kann, ist er doch immer noch der, der er ist, und nicht der, der er sein will. Als ihm die Rolle seines Lebens entgeht, verwandelt sich sein neues Traumgesicht in einen Albtraum. (Quelle: Berlinale)

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